Florian Rist

Bewegliche Systeme in der Architektur

Diplomarbeit am LT, 2005
Die Diplomarbeit ist in der Schriftenreihe des LT erschienen: Band 15

ausgezeichnet mit:
Taut-Preis 2006 - Architekturpreis des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und der Bundesarchitektenkammer
archpluspreis 2006
VDI / VDE Preis 2005 für hervorragende Diplomarb. mehr...

Bewegliche Systeme in der Architektur gibt es schon seit Urzeiten. So wurden bei-spielsweise von etlichen nord-amerikanischen Indianerstämmen Kuppelbauten aus flexiblen Ästen und Stangen, die mit Stroh gedeckt wurden, errichtet. Vergleichbare Bautypologien gibt es aber auch bei vielen anderen Urvölkern, etwa in Nigeria. Nomadenzelte stellen Weiterentwicklungen solcher Urtypen dar und bereits in der Antike erreichen wandelbare Dachkonstruktionen enorme Spannweiten, beispielsweise die raffbaren Sonnensegel des Amphitheaters in Pompei.

Die Grundlagen zum theoretischen Verständnis beweglicher Systeme liefern Geometrie und Physik, genauer die Mechanik. Sie bildet heute die Grundlage für die meisten Ingenieurwissenschaften. Dennoch spielt sie in ihrer allgemeinen Form in der Architekturausbildung keine Rolle. Einzig der Statik, als Teilbereich der Dynamik, schenken Architekten meist Beachtung. Schon der zweite Teilbereich der Dynamik, die Kinetik, findet ebenso wie das zweite Hauptgebiet der Mechanik, die Kinematik, kaum Beachtung. Für die weiteren Untersuchungen über bewegliche Systeme spielt die Kinematik als Lehre von der Geometrie der Bewegung eine entscheidende Rolle. (...)

Die mechanischen veränderlichen Systeme zerfallen (...) in vier Hauptgruppen:

Mobile Gebilde, sie weisen in sich nicht notwendigerweise eine Beweglichkeit auf, sind jedoch auf Grund ihrer Physis beziehungsweise der ihrer sämtlichen Einzelteile, in die sie zerlegbar sind, transportabel, Vertreter dieser Gattung sind beispielsweise Zelte und Gerüste.

Bewegliche Systeme, sie zeichnen sich durch eine definierte innere Beweglichkeit ihrer Bauteile auf. Eine spezielle Art dieser System, die aus Scheren zusammengesetzten, bilden den Schwerpunkt der weiteren Untersuchungen.

Verformbare oder flexible Strukturen, sie weisen eine definierte innere Formveränderbarkeit auf, die einzig auf der elastischen oder plastischen Verformung ihrer Bauteile beruht.

Die Kombination der beiden letzt genannten Konzepte führt zu flexiblen beweglichen Systemen, deren mechanische Veränderlichkeit durch eine Kombination von Bewegung und (meist elastischer) Verformung ermöglicht wird.

Mechanismen beweglicher Stabwerke

Scheren und scherenähnliche Mechanismen gehören zu den beweglichen Stabwerken. Sie sind eng verwandt mit dem wohl ältesten kinematischen Mechanismus, dem zweiarmigen Hebel und finden seit langer Zeit Anwendung in Architektur und Maschinenbau. So bilden ebene bewegliche Scherengitter in der Mongolei seit mehr als 2000 Jahren die Seitenwände der Jurte, von Leonardo da Vinci gibt es Skizzen, die auf Scherenketten basierende Hebemechanismen und mobile Brücken zeigen. (...)

Ketten - Betrachtet man eine einzelne Schere, egal welcher Klasse, so fällt auf, dass sie eine Antriebsbewegung an den beiden Punkten A und B in eine Abtriebsbewegung wieder an zwei Punkten A‘ und B‘ transformiert. Es liegt daher nahe, Scheren zu verketten, wobei die Enden der einen gelenkig mit dem Anfang der nächsten verbunden werden. (...)

Ringe - Wie bereits dargestellt, bewegen sich Knickscheren auf zwei sich unter dem Knickwinkel a schneidenden Geraden. Leicht ist einzusehen, dass sich gleiche Knickscheren, mit dem Knickwinkeln a = 180° - 360°/n zu einem Ring anordnen und schließen lassen. Der so entstehende Mechanismus besitzt immer noch einen Freiheitsgrad und ist daher beweglich. Er lässt sich in einen Kreis einbeschreiben, dessen Radius sich beim Öffnen des Mechanismus vergrößert. (...)

Gitter - Aus Scherenketten oder Ringen lassen sich unter bestimmten Umständen Scherengitter bilden. Um solche Scherengitter beschreiben zu können, ist der Begriff der Parkettierung von großer Bedeutung. (...)