Wie lässt sich der ökologische Fußabdruck eines Gebäudes minimieren? Wie kann man Ressourcen schonen – nicht nur beim Heizen, sondern auch schon beim Bauen? Welche Materialien muss man verwenden, wenn man die Umwelt schonen will? Und welche lassen sich am Ende auch wieder recyceln? Die Münchner Wohnbaugenossenschaft wagnis eG suchte nach Antworten auf diese Fragen, als sie auf dem ehemaligen Gelände der Funkkaserne ein nachhaltiges Bauprojekt mit 138 Wohneinheiten realisieren wollte – und wandte sich an den Lehrstuhl für energieeffizientes und nachhaltiges Bauen an der TUM.
Das ist drei Jahre her. Am heutigen Mittwoch präsentiert Lehrstuhlinhaber Prof. Werner Lang zusammen mit seinem Team und den beteiligten Planern die Antworten. Das Projekt wagnisART in der Münchner Fritz-Winter-Straße ist der erste genossenschaftliche Gebäudekomplex in München, dessen Energiebedarf und CO2-Ausstoß über den gesamten Lebenszyklus berechnet und optimiert wurde.
Nachhaltigkeit planen
"Das Projekt war für uns eine einzigartige Gelegenheit, zusammen mit der Genossenschaft und den künftigen Bewohnerinnen und Bewohnern zu untersuchen, welche ökologischen Auswirkungen ein größerer Wohnkomplex erzeugt", so Lang. Um den Bedarf an Primärenergie und die Treibhausgasemission über den gesamten Lebenszyklus zu ermitteln, berücksichtigten die Forscher eine Vielzahl von Faktoren: die verwendeten Baustoffe, den Bedarf an Heizenergie und Strom während der Nutzung, die notwendigen Instandhaltungsprozesse – und den zukünftigen Rückbau.
Untersucht wurden auch die "weichen" Kriterien: beispielsweise, welche Ideen zur nachhaltigen Bauweise und Nutzung die künftigen Bewohnerinnen und Bewohner schon während der Planungsphase eingebracht haben. Oder welche Maßnahmen ergriffen wurden, um eine soziale Durchmischung zu erreichen.
Eine derart umfangreiche Untersuchung habe es für größere Wohneinheiten bis dato nicht gegeben, betont Patricia Schneider. Die Architektin leitet das Projekt an der TUM: "Bisherige Ansätze in der Planung beschränken sich in der Regel darauf, die Energiebilanz während des Betriebes zu optimieren." Die Graue Energie, die für Bau und Rückbau eingesetzt werden muss, würde dabei nicht berücksichtigt, so Schneider, ebenso wenig wie die "weichen Faktoren" der sozialen Nachhaltigkeit.
Versteckte Energiefresser aufspüren
Um herauszufinden, wie viel Energie die Gebäude während aller Lebenszyklus-Phasen benötigen, berechnete Schneider mit Hilfe der öffentlich verfügbaren Datenbank "Ökobaudat" eine Ökobilanz, die sich über 50 Jahre erstreckt. Diese ist unterteilt in vier Phasen: Erstellung, Nutzung, Erneuerung und Entsorgung.
Die Berechnungen lieferten einige verblüffende Ergebnisse: "Es hat sich zum Beispiel gezeigt, dass das Tragwerk aus Stahlbeton die meiste Graue Energie verschlingt, die für den Bau der Gebäude benötigt wird. Mehr als die Hälfte des Treibhauspotenzials und des Primärenergiebedarfs gehen auf dessen Kosten", berichtet Schneider.
Durch Planung Ökobilanzen verbessern
Erstaunt war die Forscherin auch über die Dimension der Grauen Energie, die in den Gebäuden steckt: "Berücksichtigt man alle Lebenszyklus-Phasen, so wird deutlich, dass die Bausubstanz so viel Treibhauspotenzial hat wie insgesamt 46 Jahre Gebäudebetrieb. Und mit der Energie, die Bau und Rückbau verschlingen, könnten die Bewohner 14 Jahre heizen. Damit wird klar, dass der Bau eines Gebäudes einen enormen Einfluss hat auf die Gesamt-Energiebilanz. Und dass sich durch Auswahl geeigneter Materialen und durch geschickte Planung der negative Einfluss auf die Umwelt minimieren lässt."
Günstig ist es beispielsweise auf Tiefgaragen zu verzichten. "Der Bau der unterirdischen Konstrukte aus Stahlbeton hat wegen der Zementherstellung und des Gehaltes an Bewehrungsstahl ein sehr hohes Treibhauspotenzial", so Schneider. Im Fall von wagnisART ist es gelungen, die Zahl der Stellplätze durch ein neues Mobilitätskonzept auf etwa die Hälfte zu reduzieren, wodurch Kosten und Umweltbelastung verringert wurden.
Die von den TUM-Forschern errechneten Ergebnisse stehen künftig allen Architekten und Planern in Form einer Publikation zur Verfügung. Weitere Projekte, in denen der Planungsprozess schon ab dem Zeitpunkt der Projektentwicklung begleitet werden soll, sind geplant.
Finanziell unterstützt wurde die Wohnbaugenossenschaft wagnis eG als Auftraggeber des Drittmittelprojektes durch die Oberste Baubehörde im Bayerischen Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr. "Wir brauchen mehr Wohnungsbau. Umso besser, wenn dieser sozial vorbildlich, generationengerecht und ökologisch nachhaltig ist", betont Innen- und Bauminister Joachim Herrmann: "Ich habe mich nicht nur dafür eingesetzt, dass das Projekt wagnisART gefördert wird. Wir haben auch gerne das wissenschaftliche Begleitprojekt der Technischen Universität unterstützt." Fachliche Unterstützung bekamen die Projektpartner auch von den Experten des Sachgebiets für Experimentellen Wohnungsbau und technische Angelegenheiten des Wohnungsbaus an der Obersten Baubehörde.
Kontakt:
Dipl.-Ing. Patricia Schneider
Technische Universität München
Lehrstuhl für energieeffizientes und nachhaltiges Planen und Bauen
Tel: +49.89.289.25754
patricia.schneider@tum.de
Publikation:
Die Publikation zum wissenschaftlichen Begleitprojekt wird durch die Oberste Baubehörde im Bayerischen Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr herausgegeben. Sie kann kostenfrei ab Februar 2017 über das Bestellportal der Bayerischen Staatsregierung heruntergeladen werden.