Offen für das Unbekannte - Ein Beitrag in der SZ über Prof. Ignacio Farías

Prof. Ignacio Farías, Professur für Infrastrukturen und Partizipation, begeistert mit seinem Kurzvortrag „Für eine idiotische Smart City“ und Ideen für Aubing.

Ignacio Farías, Foto: Florian Peljak


München – Er könnte viel erzählen über soziologische Strukturen und das kulturelle Leben in Großstädten wie Santiago de Chile – dort ist er geboren und dort hat er Soziologie und Philosophie studiert. Oder über Berlin, New York, Boston, London, Wien und Barcelona, wo er seinen wissenschaftlichen Studien nachging und die akademische Karriere vervollständigte. Aber nein, mit am interessantesten sind jetzt für Assistant-Professor Ignacio Farías, 37, vom Munich Center for Technology in Society (MCTS) der TU München die gar nicht hippen Siedlungen Neuaubing und Westkreuz: München, Lyon und Wien haben sich zusammengetan, um bei der EU Fördergelder für zukunftsweisende Pilotprojekte der Stadtentwicklung zu beantragen. Die Quartiere am westlichen Stadtrand sollen zu einem Smart-City-Leuchtturmprojekt werden. Farías ist als Berater dabei.

Das Thema von der intelligenten Stadt elektrisiert Politiker, Planer, Wissenschaftler, Unternehmer – und nicht zuletzt auch die Bürger. Es geht um die optimale Vernetzung von Auto- und Radverkehr, Car-Sharing sowie von Bussen und Bahnen, um die Funktion von Grün- und Freiräumen, um eine höhere Energieeffizienz – nicht nur in der eigenen Wohnung. So könnten zum Beispiel „mitdenkende“ Straßenlaternen die Lichtintensität selbst regulieren. Intel-Geschäftsführer Hannes Schwaderer kann sich zudem vorstellen, dass die Leuchten über intelligente Sensoren erkennen, ob unter ihnen gerade ein Parkplatz frei ist. Und es geht unter anderem auch um Erleichterungen für den Alltag, um neue Apps, die etwa Anmelde- und Bezahlsysteme vereinen können.

Großprojekte entwickelt man nicht in abgeschotteten Expertenbüros, sondern in Zusammenarbeit mit den Hauptbetroffenen, den Bewohnern der Stadtviertel. Diese Ansicht hat sich allgemein durchgesetzt. Für Wissenschaftler wie Ignacio Farías ist das genau das passende Betätigungsfeld. Die Organisation des Alltags in Großstädten hat ihn schon immer fasziniert und seine Arbeit geprägt. Partizipationsforschung ist zu einem Schwerpunkt seiner Uni-Tätigkeit in München, die er seit Februar ausübt, geworden. Wie also sieht smarte Bürgerbeteiligung aus?

Knappe und eingängige Antworten auf komplexe Zukunftsfragen der Stadtentwicklung zu geben ist kaum möglich. Vor Kurzem haben sich im Café Muffathalle Stadtbaurätin Elisabeth Merk und weitere Experten aus den Bereichen Architektur bis zur Zukunftsforschung dieser Herausforderung gestellt. Mit einprägsamen Kurzstatements und bei einem Wettstreit im Präsentieren von Ideen, bei einem Smart-Slam im Sechs-Minuten-Takt. Das Publikum bewertete die Redebeiträge. Die meisten Stimmen auf sich vereint hat Ignacio Farías. Er gewann mit einer These, die reichlich schräg im Zusammenhang mit innovativer Beteiligungsforschung klingt: „Für eine idiotische Smart City“. Ausgangspunkt ist Fjodor Dostojewskis Roman „Der Idiot“ mit seiner naiven und etwas weltfremden Hauptperson. Sie stellt scheinbar peinliche Fragen und wird nicht ernst genommen. Dabei lohne das Hinhören, meint Farías. Das Resultat sei eine Verlangsamung des Denkens und des Handelns, damit auch eine Öffnung für das Unbekannte, das Ungewisse, für das Erkunden von alternativen Definitionen unserer gemeinsamen Welt.

Bei der herkömmlichen Form der Bürgerbeteiligung würden Experten die subjektiven Aussagen der Bürger verallgemeinern und Widersprüche glätten. Man suche nach einem gemeinsamen Nenner und wolle Konsens herstellen, sagt Farías. Das Problem seien dann nicht die Bürger, sondern die Fachleute, die Ergebnisse von Beteiligungsveranstaltungen bewerteten. Das Symbol dafür sei der berühmte „runde Tisch“, an dem man durch Reden zu einer Lösung kommen wolle. Das aber reicht Farías nicht. Die Themen sollten vielmehr an kantigen Arbeitsplatten behandelt werden. Die Bürger machen selbst Skizzen, entwickeln Prototypen und probieren sie aus, oder sie rechnen Szenarien durch: „Wir brauchen Formate, die nicht nur dialog-, sondern experimentorientiert und offen für Idiotismus sind.“ Die Besucher im Café Muffathalle hatten verstanden und votierten begeistert für Farías.

Das ist ein Ansporn für den jungen Wissenschaftler und seine Professur für Partizipative Technikgestaltung. Das MCTS der Technischen Universität München ist ein Kernstück des Zukunftskonzepts, mit dem die TU vor drei Jahren bei der sogenannten Exzellenzinitiative erfolgreich war. Bei den bereits angelaufenen Forschungsprojekten geht es um die grundsätzliche Frage, wie sich Gesellschaft und Forschung gegenseitig beeinflussen und wie Wissenschaft und Öffentlichkeit miteinander kommunizieren. Soziologen und Ethiker, Philosophen und Historiker, Wirtschafts- und Medienwissenschaftler, heißt es in einer Selbstdarstellung des MCTS, arbeiten Hand in Hand mit Ingenieur- und Naturwissenschaftlern.

Ignacio Farías ist verheiratet mit einer Künstlerin, die ihren Lebensmittelpunkt in Berlin hat. Er ist ein Pendler zwischen beiden Städten. München wirke viel ruhiger als die Bundeshauptstadt, „aber in München passiert doch sehr viel, was man auf den ersten Blick vielleicht gar nicht mitbekommt“. Schließlich gebe es das Projekt „Smart Cities“ und großes Bürgerengagement in verschiedenen Bereichen. Farías arbeitet aber auch noch am Lehrstuhl für Entwerfen von Professor Florian Nagler an der Fakultät für Architektur der TUM. Die Gestaltung von Parlamenten müsse überdacht werden, fordert Farías. Also weg vom üblichen Halbkreis mit den komfortablen Abgeordnetenplätzen: „Wir brauchen eine Gestaltung, bei der die verschiedenen Akteure zusammenkommen.“ Dafür soll es buchstäblich Konflikt-Räume geben, durch die sich Bürger und Politiker bewegen und sich dort über den besten Weg auseinandersetzen.

Artikel aus der SZ vom 25. Juni 2015, Autor: Alfred Dürr