Nachruf auf Prof. Dr. phil. Norbert Huse

Mit Verehrung denken wir an unseren Kollegen, Ordinarius für Kunstgeschichte an der Fakultät für Architektur der Technischen Universität München von 1980 - 2007. Er hat mit seiner klugen und warmherzigen Persönlichkeit unsere Fakultät geprägt.

 

Präsenz der Geschichte
Zum Tod von Norbert Huse

Mit Norbert Huse hat die Kunstgeschichte einen ihrer profiliertesten Fachvertreter und die Denkmalpflege einen ihrer engagiertesten Protagonisten für die Architekturmoderne verloren. Er war von 1980 bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2007 Inhaber des Lehrstuhls für Kunstgeschichte an der TU München.

Norbert Huse studierte Kunstgeschichte in München, Freiburg, Frankfurt und Rom und wurde 1967 an der Ludwig-Maximilians-Universität promoviert. Es folgte ein Forschungsaufenthalt am Kunsthistorischen Institut in Florenz, 1968-1970 lehrte er an der Louisville University (Kentucky). Bereits 1970 habilitierte er sich an der LMU, dort hatte er eine Professur inne bevor er auf den Lehrstuhl an die TU München berufen wurde.

Die Forschungen von Norbert Huse umfassen ein außergewöhnlich breites Feld von Epochen und Gegenständen. Bei aller Universalität blieb er jedoch der Verpflichtung zu methodischer Präzision und sprachlicher Prägnanz ebenso treu wie dem programmatischen Anliegen, die oftmals von ihm erst neu erschlossenen Themen in ihrer gesellschaftskritischen Relevanz zu begründen.

Mit seiner Dissertation zu Gianlorenzo Berninis Vierströmebrunnen auf der Piazza Navona in Rom (1967) und der Beteiligung am Band über das 17. Jahrhundert in der renommierten Propyläen-Kunstgeschichte (1970) profilierte sich Norbert Huse als Spezialist für italienische Barockskulptur und -architektur. Erkennbar wird hier ein ausgesprochenes Interesse an Fragen von Ikonographie und Funktionsgeschichte, die der seinerzeit etablierten Stilgeschichte an die Seite treten. Die Habilitationsschrift über den venezianischen Renaissancemaler Giovanni Bellini (1972) setzt diese Ansätze fort. Die italienischen Studien werden in der großen, gemeinsam mit Wolfgang Wolters erarbeiteten Monographie über „Venedig. Die Kunst der Renaissance. Architektur, Skulptur, Malerei 1460-1590“ (1986) zu einer grandiosen Synthese geführt. Das in mehrere Sprachen übersetzte Buch gehört zu den Grundlagenwerken der Kunstgeschichte zur italienischen Renaissance. Venedig ist für Norbert Huse zeitlebens ein Ort der Faszination und der intellektuellen Auseinandersetzung geblieben. Eines seiner späteren Bücher mit dem Titel „Venedig. Von der Kunst, eine Stadt im Wasser zu bauen“ (2005) ist eine Referenz vor der historischen Metropole, eine emphatische Erinnerung an die dort bis ins 20. Jahrhundert geplanten Bauprojekte und nicht zuletzt auch ein Warnruf vor dem Hintergrund der akuten Gefährdungen der Stadt.

Norbert Huse hat resolut mit noch lange gepflegten und für unumstößlich gehaltenen Spezialisierungen, was die Zuständigkeiten für Epochen, Kunstgattungen oder Kunstregionen betrifft, gebrochen. Vor allem hat er die Kunsthistoriker gelehrt, dass sich die Kennerschaft in der älteren Kunstgeschichte und das Engagement für die Moderne keineswegs auszuschließen brauchen, sondern sich im Gegenteil gegenseitig befördern. Dabei hat er, bei allem Verständnis von der Kunstgeschichte als Gesellschaftswissenschaft stets auch für die Epoche der Moderne auf dem künstlerischen Eigenrecht der in ihr entstandenen Bauten bestanden. Seit den 1970er Jahren legte er in dichter Folge mehrere Bücher vor, die sich – sicherlich inspiriert vom Aufenthalt in den USA – der Architekturmoderne widmeten, einer Epoche, die damals ein in der Architekturgeschichtsschreibung immer noch weitgehend unbekanntes Terrain war. Ein Meilenstein war das Buch „Neues Bauen 1918-1933. Moderne Architektur in der Weimarer Republik“ (1975), es folgten die handliche, in einer populären Taschenbuchreihe erschienene Monographie über Le Corbusier (1976), ein Buch über Berliner Großsiedlungen der Moderne (1984) und ein gemeinsam mit weiteren Autoren verfasstes Buch über Hans Scharoun (1992). Norbert Huse wirft in diesen Studien einen Blick auf die Architekturmoderne, der sich auf einem bis dato kaum erforschten Feld durch eine immense Kenntnis von Bauten und Schriftquellen auszeichnet. Er ist gegenüber den autoritären Wertsetzungen der Programme durchaus skeptisch, er lässt aber auch keinen Zweifel aufkommen, dass sein Blick geprägt ist von der Loyalität gegenüber den baulichen Leistungen.

Wie sehr sich Norbert Huse als Anwalt der Moderne verstand, macht sein vielfältiges denkmalpflegerisches Engagement für die Erhaltung von Bauten der Moderne und der Gegenwart unmissverständlich klar. Dabei war sein praktisches Engagement stets systematisch begründet – er dachte über die Theorie der Denkmalpflege in einer beträchtlichen historischen Tiefe nach, entwickelte sie aber auch für die Gegenwart weiter. So legte er eine bis heute unverzichtbare, kommentierte Quellenanthologie zur Denkmalpflege (1984) vor. Sein Essay „Unbequeme Baudenkmale. Entsorgen? Schützen? Pflegen?“ (1997) ist ein streitbares Plädoyer für eine vor dem Problemhorizont der Gegenwart erneuerte Denkmalpflege. Norbert Huses Manifest ist so unbequem wie das Thema, um das es geht. Seine Pionierleistung bestand – mit einem Wort – darin, der Denkmalpflege eine Heimstätte an der Universität zu verschaffen. Er hat die Denkmalpflegepraxis und -theorie zueinander ins Verhältnis gesetzt und daraus Kriterien für das historische Verständnis von neuen Bauten erarbeitet, aber auch Standards für den praktischen Umgang mit ihnen. Dass Norbert Huses Stimme gehört wurde, zeigen nicht nur die von ihm mit unterstützten Rettungskampagnen, sondern auch seine Auszeichnung mit dem Karl-Friedrich-Schinkel-Ring, dem renommiertesten Preis der Denkmalpflege in Deutschland.

Mit der Stadt, in der Norbert Huse zeitlebens lehrte, hat er sich in einer „Kleinen Kunstgeschichte Münchens“ (1990) beschäftigt. Entstanden ist eine unübertroffen luzide, stellenweise ironisch gewürzte Auseinandersetzung mit der auf sich selbst stolzen „Kunststadt München“. Als Fachvertreter an der Technischen Universität hat Norbert Huse die Fakultät für Architektur durch seine Forschungen, seine Lehrtätigkeit sowie durch sein Engagement in den Gremien nachdrücklich geprägt. Er war Dekan und übernahm erstmals das neu eingerichtete Amt des Studiendekans. In dieser Amtszeit war er für die Einrichtung eines Servicebüros für die Studierenden verantwortlich und erarbeitete zusammen mit den Studierenden ein Konzept für die Verwendung der Studienbeiträge. Norbert Huse trug maßgeblich zur Einrichtung eines Lehrstuhls für Restaurierungs- und Konservierungswissenschaften bei. In Lehre und Forschung kam es unter seiner Ägide zu einer kontinuierlichen Zusammenarbeit zwischen der Kunstgeschichte und anderen Fächern, und dies nicht nur mit den sozusagen natürlichen Allianzpartnern der anderen historisch ausgerichteten Disziplinen, sondern auch mit den eher geschichtsskeptischen Entwurfsfächern. Für die Möglichkeiten und Herausforderungen einer Integration der Kunstgeschichte in eine Architekturfakultät hat Norbert Huse weit über die TU München hinaus Maßstäbe gesetzt.

 

Norbert Huse ist am 31. Mai 2013 gestorben.

 

Dietrich Erben