Der Großraum München wächst: Seit 2011 ist die Zahl der Einwohner in der Metropolregion um rund 130.000 gestiegen – im Stadtgebiet München allein um 43.000. Doch nicht alle Gemeinden in der Region sind von Wohnungsknappheit und überfüllten Straßen betroffen. Mancherorts sinken die Einwohnerzahlen, liegen Gewerbegebiete brach. Woran liegt das? Und was können die regionalen Akteure tun?
Das wollen Wissenschaftler um Prof. Alain Thierstein (Lehrstuhl für Raumentwicklung) und Prof. Gebhard Wulfhorst von der Technischen Universität München (TUM) herausfinden und den Ballungsraum rund um München neu vermessen: In einer Studie untersuchen sie die Entwicklung von Bevölkerung, Arbeitsplätzen und Verkehrsnetzen in der Metropolregion. Und sie fragen ihre Bewohner: „Wo und wie wollen Sie in Zukunft wohnen, arbeiten und sich fortbewegen?“
Die Online-Umfrage richtet sich an alle, die in den vergangenen drei Jahren zugezogen sind oder die innerhalb der Metropolregion ihren Wohn- oder Arbeitsort gewechselt haben. Erfragt wird, was den Menschen bei der Entscheidung für eine neue Wohnung bzw. für einen neuen Arbeitsplatz besonders wichtig ist – von der Nähe zu Haltepunkten des öffentlichen Verkehrs über die Wohn- und Mobilitätskosten bis hin zu Einkaufsmöglichkeiten und Freizeitangeboten. Unterstützt wird die Befragung durch ein breites Bündnis: Landkreise und Kommunen der Region sind ebenso beteiligt wie die Oberste Baubehörde und Unternehmen, u.a. die Münchner Verkehrsgesellschaft MVG.
Im zweiten Teil ihrer Studie erstellt das Forscherteam eine umfangreiche Raumanalyse. Für die 775 Gemeinden in der Metropolregion erfassen sie die Bevölkerungs- und Arbeitsplatzentwicklung von 1980 bis heute und verknüpfen sie mit Daten zur Verkehrsanbindung, zur Versorgungslage sowie zur Wohnungsnachfrage.
Wachsende und schrumpfende Gemeinden
Erste Ergebnisse zeigen: Die Städte und Gemeinden in der Metropolregion stehen vor ganz unterschiedlichen Herausforderungen. München, Rosenheim und Ingolstadt sowie die Flughafenregion verzeichneten in den vergangenen Jahren einen hohen Zuzug. Damit einher gehen deutlich steigende Mieten und Immobilienpreise. Auch im Umland dieser Städte wächst die Nachfrage nach Wohnraum, entsprechend groß ist der Bedarf an Infrastruktur für Verkehr, Bildung und Einkaufen.
Andernorts ziehen immer mehr junge Familien weg: Jede fünfte Gemeinde ist zwischen 2011 und 2013 geschrumpft – obwohl im selben Zeitraum die Bevölkerung in der gesamten Metropolregion um zwei Prozent zugenommen hat. Zurück bleibt eine Bevölkerung mit hohem Senioren-Anteil.
Schlüsselfaktor Erreichbarkeit
Aus früheren Untersuchungen wissen die Forscher, dass die Erreichbarkeit eine große Rolle bei der Wahl des Wohnortes und bei der Ansiedlung von Arbeitsplätzen spielt: Entlang der Bahnlinien und Autobahnen nimmt die Bevölkerung überdurchschnittlich zu. "Allerdings gibt es auch Regionen, in denen trotz schlechter ÖPNV-Anbindung die Einwohnerzahlen stark ansteigen, beispielsweise rund um Ingolstadt", sagt Prof. Gebhard Wulfhorst vom TUM-Fachgebiet für Siedlungsstruktur und Verkehrsplanung. "Und es gibt Bereiche, die sehr gut erschlossen sind, in denen aber kaum Zuzug stattfindet, rund um Augsburg zum Beispiel. Woran das liegt, wollen wir jetzt noch genauer herausfinden."
Chance für neue Zentren
Die Ergebnisse der Studie sollen eine Arbeitsgrundlage für regionale und unternehmerische Strategien bieten: Wo werden zukünftig Schulen gebraucht? Ist das geplante Einkaufszentren auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen? Welcher neue Produktionsstandort ist nicht nur gut angebunden sondern auch für potenzielle Mitarbeiter attraktiv? „Die Daten aus unserer Studie können solche Entscheidungen für Teilgebiete der Metropolregion sowie für Unternehmen erleichtern,“ ist sich Prof. Alain Thierstein vom TUM-Lehrstuhl für Raumentwicklung sicher.
Und auch für den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs können die Studienergebnisse Anhaltspunkte liefern. „Für viele Menschen ist ein urbanes Umfeld attraktiv, die Wohn- und Mobilitätskosten in München sind ihnen aber zu hoch“, sagt Prof. Gebhard Wulfhorst. Damit gewinnen mittlere Zentren an Bedeutung, wie Freising oder Landshut. Umso wichtiger ist für den Wissenschaftler der Ausbau von Nahverkehrsverbindungen zwischen diesen Regionalzentren: „Dabei müssen nicht alle Wege nach München führen.“
Zur Online-Umfrage, zu den Zwischenergebnissen von Raumanalyse und Umfrage sowie zur Website des Lehrstuhls für Raumentwicklung