Die Überhitzung städtischer Gefüge, der so genannte „Urban Heat Island“ Effekt ist in vielen Ländern bereits ein großes Problem, das im Kontext des Klimawandels und der innerstädtischen Verdichtung auch in Deutschland an Relevanz gewinnt. Fortschreitende Klimaveränderungen weltweit bescheren nicht nur deutschen Städten in immer heisser und trockener werdenden Sommermonaten immer mehr südländische Hitze bei einer zunehmenden baulichen Verdichtung. Es gibt einen Zusammenhang zwischen Stadtmorphologie, Materialität und Mikroklima, denn unsere Siedlungen werden nicht nur immer Dichter, es entstehen täglich auch immer mehr versiegelte Flächen. Täglich werden in Deutschland rund 56 Hektar als Siedlungsflächen und Verkehrsflächen neu ausgewiesen. Dies entspricht einer Flächenneuinanspruchnahme von circa 79 Fußballfeldern. Das sind Flächen, die sich an heissen Sommertagen durch solare Strahlung stark aufheizen und die gebundene Wärmeenergie auch bis zum nächsten Tag speichern. In mehr als zwei Dritteln der deutschen Großstädte erhöhte sich die Einwohnerzahl zwischen 2010 und 2016. Besonderen Zuwachs gibt es in Leipzig (13,7 Prozent), Darmstadt (11,4), Münster (10,8) und Frankfurt am Main (10,7). Diese urbane Verdichtung ging in der Vergangenheit oft mit zunehmender Versiegelung und somit mit mikroklimatischer Aufheizung von urbanem Stadtgefüge einher. Stadtplaner*innen und Architekt*innen müssen also an durchdachten wie robusten Lösungen für eine klimagerechte Transformation der Stadt und insbesondere des öffentlichen Raumes arbeiten.
Das Forschungsprojekt Climate Active Bricks untersucht die kühlenden Mikroklimaeffekte, die wir mit der Schaffung geometrisch differenzierter modularer keramischer Wandelemente an Gebäudefassaden erzielen können. Durch die sorgfältige und zielgerichtete Gestaltung von Außenfassaden und -räumen sowohl durch passive Methoden als auch durch aktive lokale Verdunstungskühlung mit Grauwasser kann das Mikroklima von öffentlichem Stadtraum deutlich verbessert werden. Modulare, keramische Wandbauelemente wie Ziegelsteine bieten ein großes Innovationspotential rund um klimaaktive Eigenschaften wie thermisches sowie hygrisches Speichervermögen: richtig eingesetzt können keramische Wandbauelemente als klimawirksames Material zur Verbesserung des lokalen Mikroklimas und zum Entgegenwirken des Urban Heat Island Effektes beitragen. Dies betrifft den Einfluss sowohl auf meteorologische Parameter Lufttemperatur, Luftfeuchtigkeit, Strahlung und Wind, als auch Immissionsgrößen, wie zum Beispiel die Luftqualität und den Lärm. Studien zeigen zum Beispiel, dass Ziegelfassaden mit niedrigem Reflexionsvermögen im Vergleich zu stark isolierten Hüllen die extreme Wärmebelastung für Fußgänger während des Tages um 26% reduzieren können. Eine weitere Studie untersucht die Auswirkungen einer bewässerten Ziegelmauer und die Ergebnisse zeigen, dass die Oberflächentemperatur der Wand über der Tageszeit um durchschnittlich 5 ° C niedriger ist als die Umgebungstemperatur. In den Stunden der Spitzentemperaturen können punktuell bewässerte Aussenwände sogar um acht Grad herabgekühlt werden. Vor diesem Hintergrund werden Architektinnen und Architekten zukünftig vermehrt bei ihrer Materialauswahl für Fassaden auf die Wärmespeicherkapazität der Materialien und thermisch reflektierenden Eigenschaften achten müssen. Eine Forschergruppe um Dr. Philipp Lionel Molter und Ata Chokhachian hat bereits die signifikanten Verbesserungen des Mikroklimas durch eigenverschattete und punktuell bewässerte Ziegelfassaden nachgewiesen.
Die Flexibilität und Modularität im Schichten und Fügen von keramischen Wandbauelementen sind auch Gegenstand von Forschung in der digitalen Fabrikation, die es den Architekten ermöglicht, parametrisch komplexe Geometrien leicht kontrollierbar und planbar zu gestalten. Mittels spezieller Software können Geometrien entwickelt werden, die die solare Strahlung und somit die entstehenden Wandtemperaturen simulieren können. Diese datengestützten Simulationsmethoden informieren den digitalen Entwurfsprozess der Planer*innen. Darauf aufbauend soll ein Planungstool entwickelt werden, das es Planer*innen ermöglicht, Exportdateien für die maschinelle Fertigung in dem produzierenden Unternehmen zu erstellen. Die Integration von digitalem Design, datengestützter Simulation und Fertigung bietet die Möglichkeit der Erstellung einer durchgängigen digitalen Prozesskette für optimierte funktionsintegrierte Bauteile. Dieses Potential soll in diesem Projekt dazu genutzt werden, die klima-aktiven Eigenschaften von Ziegeln in einen digitalen Design- und Optimierungsprozess einzubinden, sowie neue digitale und roboterbasierte Technologien für die nicht-standardisierte Fertigung zu nutzen. Digitale und semantische Modelle architektonischer Art können in Simulationsmodellen dargestellt, thermisch evaluiert und optimiert werden und bieten die Grundlage für digitale Produktionsdateien für Mauerwerksverbände. Auf Selbstverschattung hin optimierte Geometrien oder die hygroskopische Aktivierung von Ziegelsteinoberflächen in Außenfassaden in urbanen Erdgeschosszonen sollen somit einen erheblichen Beitrag zur Verbesserung des lokalen Mikroklimas dichter Städte beitragen.
Zum Filmbeitrag "Climative Active Bricks"
Projektverantwortliche und -Beteiligte:
Associate Professorship of Architectural Design and Building Envelope
Dr.-Ing. Architekt Philipp Lionel Molter
TT Professorship Digital Fabrication
Prof. Dr. sc. ETH Kathrin Dörfler
Dipl. Ing. Julia Fleckenstein
climateflux
Ata Chokhachian, M.Sc.
Studierende:
Daria Alekseeva, Maurice Demeyer, Arvand Vaghari Fard, Robin Feys, Georgy Frolov, Arno Gabriel Goedefroo, Iuliia Larikova, Shiran Potié, Sébastein Wilwers
acknowledgement:
Chair of Building Technology and Climate Responsive Design
Chair of Geodesy, TUM Department of Aerospace and Geodesy
Leipfinger Bader
Empfangshalle - Corbinian Böhm und Michael Gruber