Was begeistert Sie so daran, Bäume und andere Pflanzen als Baumaterial zu verwenden?
Ein Bauwerk ist in der Regel ein rein technisches, präzise konstruiertes Objekt. Aber ein Baum wird nicht am Reißbrett geplant, sondern maßgeblich durch die Umweltbedingungen geformt. Und das kann nicht exakt geplant werden. Der Baum ist auch nie fertig, sondern wächst immer weiter – bis er irgendwann stirbt. Mich fasziniert genau dieser Gegensatz. In der Baubotanik integrieren wir Pflanzen in die Architektur. Ich habe mich mit dieser Thematik schon in den ersten Semestern meines Studiums beschäftigt. Es gibt ja historische Beispiele wie lebende Brücken in Indien oder auch die Tanzlinden in Deutschland – faszinierende, künstlich geformte Bäume, in die Podeste als Tanzböden integriert sind. Das hat mich in den Bann geschlagen, da diese archaischen Architekturen sich weiterentwickeln lassen und so Lösung für drängende Fragen unserer Zeit bieten.
Denken Sie dabei an den Klimawandel?
Es geht darum, sich besser an die Folgen des Klimawandels anzupassen. Gerade in den Städten ist ein Großteil der Fläche mit Stein, Beton und Asphalt verbaut. Diese Materialien heizen sich bei hohen Temperaturen schnell auf, Menschen und Tiere in den Städten leiden unter Hitzestress. Pflanzen sorgen für Kühlung und ein besseres Klima in der Stadt. Mit der Baubotanik muss nicht extra Raum für die Pflanzen geschaffen werden, da sie integraler Bestandteil der Bauwerke sind. Ein anderer Aspekt ist die Entfremdung des Menschen von der Natur. Diese wird auch in der Stadt wieder erlebbar, wenn die Menschen zum Beispiel das Gefühl haben, in einer Baumkrone zu wohnen.
Wie kann denn ein Gebäude geplant werden, das zum Teil aus Pflanzen besteht?
Das ist das Spannende. Sie müssen sich genau mit den Eigenschaften und den Bedürfnissen des Organismus auseinandersetzen, um plausible Entwürfe machen zu können – obwohl natürlich eine gewisse Unberechenbarkeit bleibt. Dazu benötigen wir das gesammelte Wissen aus Botanik, Forstwissenschaft und Gartenbau. Zum Beispiel, wie groß ist das Wachstumspotenzial der Pflanze und wie können wir dieses regulieren? Wir verwenden bestimmte Techniken wie die Pflanzenaddition, bei der Pflanzen miteinander verwachsen, um das gewünschte Grünvolumen schneller zu erreichen.
Wie kann man sich die Pflanzenaddition vorstellen?
Bei Projekten wie dem Baubotanischen Turm oder dem Platanenkubus Nagold haben wir mehrere hundert junge Bäume so miteinander verbunden, dass sie zu einer Einheit verwachsen. Nur die unteren Bäume wurden in den Boden gepflanzt, die restlichen Bäume befinden sich in speziellen Pflanzencontainern auf mehreren Ebenen, gestützt durch ein temporäres Stahlgerüst. Der Stamm der Bäume wurde jeweils mit einem Stamm der oberen Ebene verschraubt. Die Rinde und das Holzgewebe verwachsen mit der Zeit miteinander und es entsteht ein fachwerkartiges Stammgebilde, das vollständig durch die Wurzeln der unteren Bäume mit Nährstoffen versorgt wird. Sobald dieses stabil genug geworden ist, um sein eigenes Gewicht tragen zu können, wird das Gerüst entfernt.
Ist ein Gebäude aus lebenden Pflanzen sicher?
Alles was lebt, kann sterben, daher gibt es immer ein Risiko. Je stärker sich der architektonische Vorschlag aber an dem natürlichen Wachstumsmuster der Pflanzen orientiert, desto besser. Ich habe das Ziel, hier an der TU München die Wachstumsmuster der Pflanzen noch besser zu erforschen und außerdem neue Konzepte und Strategien für grüne Architektur zu entwickeln. Eine interdisziplinäre Zusammenarbeit ist dabei essentiell. Das zeigt auch unser aktuelles Projekt Urban Micro Climate Canopy. Hier lassen wir eine Struktur aus harzgetränkten Glasfaserbündeln von Kletterpflanzen bewachsen, sodass eine künstliche Baumkrone von drei Metern Höhe entsteht. Wir nutzen dabei computergestützte Simulationsverfahren für den Entwurf sowie Robotik zum Aufbau des Gerüsts. Die künstliche Baumkrone haben wir mit großem Erfolg bereits in Frankfurt am Main während der Luminale ausgestellt. Wir werden das Projekt auf dem Versuchsfeld auf dem Campus in Weihenstephan dauerhaft aufbauen.
Die Meldung entstammt der Pressemitteilung der TU München (Redaktion: S. Reiffert).